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Im Verlauf der nächsten Stunden fragten sich Lisa und Schneider durch die Angestellten durch. Das Bild, das sie dabei von dem Toten bekamen, unterschied sich doch recht stark von dem, welches Napoleon zu vermitteln versucht hatte. Unisono hiess es, der Chef sei ein fürchterlicher Tyrann gewesen, ein geldgeiler Sklaventreiber, ein Choleriker und so weiter und so fort. Seine Angestellten habe er wie Dreck behandelt, ebenfalls seinen Bruder, den die Eltern genötigt hätten, Geschäftsführer zu werden. In den Berichten war von körperlichen Attacken bis hin zu sexueller Belästigung alles dabei.

Lisa stellten sich die Nackenhaare auf. So ein Chef war ein echter Albtraum, daneben war ein Partner wie Schneider schon fast ein Lottogewinn. Der hasste zwar alles und jeden, sie ganz besonders, aber immerhin behielt er seine Finger bei sich. Letzten Endes hatten alle den Toten verabscheut und wirklich traurig war niemand, obwohl die Leute unisono zugaben, dass es natürlich schon schlimm wäre, so im Gewächshaus unter der Decke zu hängen, das sei sicher. Einer der Arbeiter bemerkte aber schliesslich: „Irgendwann kriegt halt jeder, was er verdient.“ Würde man diese Aussagen zum Motiv stilisieren, kamen eigentlich fast alle in Frage. Ob aber schlechte Arbeitsbedingungen ausreichten, um jemanden so zuzurichten?

Schneider liess Lisa wissen, dass der Täter ohnehin nicht unter den Angestellten zu finden sein würde. Woher er diese Erkenntnis nahm, erklärte er allerdings nicht. Warum sie dann trotzdem alle Mitarbeiter in die Mangel nahmen, auch nicht. Lisa war irgendwann ohnehin alles egal, denn sie brauchte etwas zu essen und das sofort. Schneider erbarmte sich ihrer, und so fuhren sie in ein nahegelegenes Restaurant. Schneider nahm „Schnipo“ und Lisa bekam einen Teller Kartoffeln vorgesetzt, weil man im Dorfrestaurant nicht wusste, was sie dieser komischen Frau, die kein Fleisch und keinen Fisch wollte, sonst anbieten sollte.

„Schon schlimm, wenn einen alle so hassen“, sagte Lisa irgendwann, um die gefrässige Stille zu unterbrechen. Sie fühlte sich sehr unwohl neben einem schweigenden Schneider. Am Ende hing er irgendwelchen bösartigen, ihr gewidmeten, Gedanken nach.

„Naja, er hat ja auch einiges dafür getan“, nuschelte Schneider, wie ein Hamster auf dem zähen Schnitzel herumkauend.

„Wer seine Angestellten von früh bis spät anschreit und die Frauen betatscht, muss sich nicht wundern, wenn er irgendwann die Quittung dafür kriegt.“

„Du hast kein Mitleid?“
„Nö. Ist aber auch nicht mein Job. Ich muss nur den Täter finden.“
„Oder die Täterin.“
„Das war ein Mann.“
„Woher willst du das wissen?“, wunderte sich Lisa. „Auch Frauen morden.“
„Aber nicht so. So mordet nur ein Mann.“

„Weil Frauen nicht so brutal sind?“
„Oh“, lachte Schneider. Wobei sein Lachen den verbitterten Defaitismus eines Todeskandidaten hatte, der sich freut, dass sein Henker die richtige Vene getroffen hat. Nicht so richtig fröhlich. „Frauen SIND brutal. Grausam, manipulativ, habgierig und zickig. Und sicher, morden tun sie auch. Aber anders. Die meisten Frauen, die ich bisher des Mordes überführt habe, hatten ihre Opfer vergiftet.“

Lisa musste ihm recht geben. Zumindest, was das Gift betraf. Schneiders Frauenbild allerdings, das war was für den Seelenklempner.