Der Blob. Milliardenaltes Wunderwesen.

Der Blob. Milliardenaltes Wunderwesen.

Der Blob.jpg

Der Blob. Milliardenaltes Wunderwesen.

Es muss ja nicht immer der ganz grosse Wurf sein, so mit stolzem Gang, wallender Mähne und lautem Löwengebrüll. Spektakulär kann auch anders: schleimig, popelfarbig und hirnlos. Und sehr rätselhaft, denn was genau das für ein Wesen ist, da ist sich die Wissenschaft immer noch nicht sicher.

 „Wie gammeliges Rührei“, so beschreibt Audrey Dussutour von der Universität Toulouse den Anblick des Wesens, das ihr als grosse wissenschaftliche Sensation verkauft worden war. Bitter enttäuscht versorgte sie damals also das ungeniessbare Eiergericht namens Physarum polycephalum erst einmal im Inkubator. Nur… der Mensch denkt, der Blob lenkt - am nächsten Morgen hatte das Rührei seine Petrischalen verlassen, und war über die Regalböden gewuchert. Damit nahm eine grosse Liebe ihren Lauf. Seit jenem schicksalhaften Tag forscht Madame Dussutour an diesen, den Schleimpilzen zugeordneten, Wesen und - très francais - kocht immer wieder eigenhändig für ihre kleinen Lieblinge ihre Leibspeise, eine Art Crème brûlée. Blobs sind da übrigens sehr wählerisch, zumindest die französischen (dazu später mehr…) wissen sie doch genau, welche Kombination an Zucker und Eiweiss die für sie bekömmlichste ist. 

Angetrieben von Hunger und Wasser

Unklar ist, woher Blobs das wissen, haben sie doch weder Gehirn noch Magen. Eigentlich bestehen sie nur aus einer einzigen Zelle, verdoppeln aber bei guter Nahrungslage ihr Volumen jeden Tag. Auch haben sie weder Füsse noch Flügel, fortbewegen können sie sich mit Hilfe ihres Venennetzes. Das Venennetz ist mit Aktinfilamenten umgeben, die sich zusammenziehen und so die Flüssigkeit durch die Venen pumpen. So kommen Blobs meist eher gemächlich mit etwa einem Zentimeter pro Stunde vom Fleck. Wenn sie aber der Hunger plagt, sind sie bis zu viermal schneller unterwegs. 

Finden Blobs keine Nahrung (oder lässt man sie absichtlich im Labor hungern), bilden sie ein Sklerotium - sie trocknen aus und gehen bis zu zwei Jahre in den Ruhemodus. Wiedererwecken lassen sie sich mit ein paar Tropfen Wasser. 

Ein Wesen aus grauen Vorzeiten

Entstanden sind diese Wunderwesen schon vor einer Mrd Jahre. Dementsprechend gestaltet sich auch ihr ausserlaborlicher Speiseplan eher evolutionstechnisch traditionell: Bakterien, Hefen und Pilze stehen auf der Liste. In der Natur wohnen Blobs auf verottetem Holz und in Pilzen.

Gedächtnis…

Madame Dussutour kocht indessen nicht nur für ihre Blobs, nein, sie führt auch Experimente aller Art mit ihnen durch. So konnte sie nachweisen, dass Blobs sich Dinge merken können.

Für dieses Experiment streute sie Salz zwischen Blob und Crème brûlée, Salz mögen Blobs überhaupt nicht. Anfangs überquerten sie diese Salzbarriere denn auch sehr zögerlich. Doch nach fünf Tagen krabbelten sie so schnell zu ihrem Pudding wie ohne Salzbarriere. Um auch die letzten Zweifler zu überzeugen, führte Madame das Experiment ganze 4000 mal durch. Statistically significant, wie es so schön heisst. 

Doch damit war Dussutour noch nicht zufrieden. Sie wollte auch wissen, ob Blobs miteinander kommunizieren können. Prinzipiell ist es so, dass, wenn man zwei Blobs zusammen bringt, sie zu einem Organismus verschmelzen. Und so brachte Dussutour ihre tausende an Salz gewöhnte Blobs mit tausenden untrainerten Blobs zusammen -  und innerhalb von drei Stunden flossen die Informationen buchstäblich weiter (man stelle sich die Crème brûlée Sonderschichten vor 🙈).

 …und Intelligenz

Tja, und wo ist es nun, das Gedächtnis der Blobs, wenn sie doch kein zentrales Nervensystem besitzen? Um das herauszufinden, injizierte Dussutour Salz in das Venensystem untrainierter Blobs, et voilà - auch damit fand ein Lerneffekt statt. Dussutour nimmt also an, dass sich das Blob-Gedächtnis irgendwo in dem mysteriösen Venennetz befindet.

Sind Blobs also intelligent, will heissen, zu kognitiven Prozessen fähig? Wenn man Intelligenz schlichtweg als die Fähigkeit zu Überleben definiert, sind viele Spezies und eben auch der Blob intelligent. Hmja.

Der gefrässige Ami

Egal, zurück zu Madame: Sie fand auch heraus, dass Blobs aus verschiedenen Ländern über verschiedene Fähigkeiten verfügen: So ist im Direktvergleich der japanische Blob der Schnellste, der australische der Zielorientierteste und der amerikanische… nunja, sorry, der ist der Gefrässigste. Der amerikanische Blob in Dussutours Labor verschmähte denn auch die angebotenen Bio-Haferflocken, und fiel lieber über zuckerige Kellogs her…

Blob als Lebensaufgabe

Der echte Meister der Blobs ist aber der Japaner Toshiyuki Nakagaki von der Universität in Hokkaido. Er forscht bereits in der dritten Generation an den Blobs. In seinen Experimenten hat er beispielsweise Blobs in ein Labyrinth gesetzt, um herauszufinden, ob sie die angebotene Nahrungsquelle finden können. Können sie. Sie können auch derer zwei in einem Labyrinth auf dem kürzesten Weg miteinander verbinden. Auch in weiteren Labyrinthversuchen wählte der Blob immer die effizienteste Verbindung zwischen zwei Futterstationen - und baute so schon das superhightech-Schienennetz der japanischen Eisenbahn nach (was im Umkehrschluss heissen könnte, dass Japans Superingenieure so gewieft sind wie uralte Schleimpilze 😳). 

Wie nun können sich Blobs merken, dass eine Verbindung besser ist als die andere? Ganz einfach: Blobs hinterlassen beim Kriechen eine Schleimspur, die sie davon abhält, genau dort noch einmal entlangzukriechen. So können sie ineffiziente Wege eliminieren. Der Schleim dient Blobs demnach als eine Art externes Gedächtnis.

Blobs sind also alles in allem ein wunderbares Spielzeug für Wissenschaftler aller Couleur, ob nun Informatiker, Ethologe oder Biologe.

À Paris

Ihren Namen haben sie übrigens aus einem Horrorfilm aus den 1950er Jahren, in dem sich ein ausserirdisches Glibberwesen durch die Strassen wälzt und alles frisst, was sich ihm da so in den Weg stellt.

Übrigens: Wer einen Blob besichtigen will, muss sich auf den Weg nach Paris machen (wenn die Grenzen irgendwann mal wieder offen sein werden…), dort ist er im Zoo ausgestellt.