Rabenvögel. Tinder und Orakel.

Rabenvögel. Tinder und Orakel.

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Rabenvögel. Tinder und Orakel.

Hochintelligent und wunderschön, dazu sozial und humorvoll: Hätte ein Rabe ein Tinderprofil, würde er wahrscheinlich dauergeklickt. Doch sein Image ist wechselhaft mit gröberen Schauern.

In vorchristlicher Zeit galten Rabenvögel als weise orakelnde Tiere, das Christentum hingegen konnte  mit ihnen gar nichts anfangen. Das muss nicht unbedingt was bedeuten, denn das Christentum kann mit vielem, was aus alten Kulturen stammt, nichts anfangen. Bei den Germanen jedenfalls hatten die Rabenvögel Götterstatus. Denn der germanische Gott Odin höchstselbst verwandelte sich ab und zu in einen Raben, ausserdem hatte Munin und Kunin, seinen beiden rabengestaltigen Begleiter, an seiner Seite. Im alten Rom befragten die Auguren das Rabenorakel und in der indianischen Mythologie gelten sie auch heute noch als Überbringer magischer Botschaften und spielen bei einzelnen Stämmen in der Schöpfungsgeschichte eine wichtige Rolle.

Unglücksboten und Propheten

Nicht so bei den Christen: Da gab es den Unglücksraben, den Raben der kleine Kinder frisst (man denke an den Reim „Hoppe, hoppe, Reiter…“), den Galgenvogel und so weiter. Generell galt der Rabe als Unglücksbote, der Tod und Pestilenz verbreitete, eindrücklich in seiner ganzen Düsternis bei Edgar Allan Poes Raben Nimmermehr nachzulesen. Ausserdem waren in der Vorstellung der christlichen Kirche Raben mit den Hexen im Bunde. Während die Hexen dann auf dem allbekannten Scheiterhaufen endeten, wurden tote Raben und Elstern an die Haustüren genagelt, um Unheil fernzuhalten. Vergessen ging dabei wohl, dass es von Gott geschickte Raben waren, die den Propheten Elias in der Wüste durchfütterten, als dieser nach seinem Massenmord an den Baalspropheten bei der zuständigen Königin ein klitzekleinwenig in Ungnade gefallen war. 

Vom Sozialleben und Käsestücken

Zurück zu den Raben. Dass die Tiere Tod und Teufel verbreiten, ist christlicher Habakuk. Weniger abstrus ist indes ihre Tauglichkeit zum Orakel, sind Rabenvögel doch hochintelligent - von den kognitiven Fähigkeiten und dem Verhalten her sind sie mit einigen von uns Primaten gleichauf. 

So zeigte der Verhaltensbiologe Jörg Massen von der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Österreich in einem Experiment, wie Rabenvögel so miteinander funktionieren: In Massens Versuch mussten je zwei Vögel zusammenarbeiten, um an zwei Stücke Käse zu kommen (offenbar haben Rabenvögel Käse sehr gern). Konnten die Rabenvögel mit ihrem jeweiligen Lieblingspartner zusammen arbeiten, klappte die Kooperation ausgezeichnet. Wenn Rabe eins und Rabe zwei nicht wirklich ziemlich beste Freunde waren, und Rabe eins dann auch noch beide Käsestücke allein verspeiste, anstatt zu teilen, war Rabe eins bei Rabe zwei unten durch und eine weitere Zusammenarbeit wurde verweigert. 

Angewandte Physik

In anderen Versuchen, dieses Mal angesetzt von Sarah Jelbert von der Universität in Auckland, benutzten Krähen Steine, um den Wasserspiegel in einer Stele zu heben, auf dem ein Krähenguddeli schwamm. Physik für Fortgeschrittene.

Ihre unglaubliche Beobachtungsgabe hat sie auch den Gebrauch von Werkzeugen gelehrt. Rabenvögel benutzen Äste und anderes Werkzeug, um nur so erreichbare Kostbarkeiten zu ergattern. Und um an das Innere einer Nuss heranzukommen, werfen sie diese auf Strassen, um sie von den durchfahrenden Autos knacken zu lassen.

Zukunftsplanung

Und - letzter Forschungsbericht, versprochen, aber es ist halt gar so spannend - Nicola Clayton und Nathan Emery von der Universität Cambridge fanden im sogenannten Frühstückszimmer-Experiment heraus, dass Raben für die Zukunft planen können. So steckten die beiden Forschenden die Raben an einem Tag in ein Zimmer mit reichhaltigem Nahrungsangebot und am nächsten in eines ohne Futter. Ein paar Tage später liessen sie die Vögel in beide Räume. Tja, und was machten diese? Sie plünderten den Futterraum und vergruben ihre Kostbarkeiten in der Hungerkammer. Sparst du in der Zeit, so hast du in der Not…

Für Krone und Empire

Dazu kommen die Täuschungsmanöver, zu denen Rabenvögel fähig sind. Ein jeder hat sicher schon mal mitleidig eine flügellahme Krähe beobachtet, die sich beim besorgten Näherkommen dann als topfitter Scharlatan entpuppte. Und die Krähen, die sich der Tower of London zum Schutz des britischen Empires hält (lange Geschichte und typisch britisch, siehe Video), klauen Chipstüten von den Touristen oder erschrecken ebendiese so lange mit der Darbietung „sterbende Krähe“, bis die ahnungslosen Besucher den Raven Master alarmieren.

Rabenvögel biologisch

Die Familie der Rabenvögel umfasst 120 Arten, wobei der Kolkrabe hier in Europa der grösste und das, was wir meistens in Feld, Wald und Flur zu sehen und hören bekommen, die Saatkrähe ist. Nur der Volksmund unterscheidet Raben und Krähen, schlussendlich gehören alle zusammen zur Familie der Corvidae

Anpassungsfähig, auch in Bezug auf ihre Nahrung, (und superschlau) wie sie sind, finden sich Rabenvögel in so gut wie allen Lebensräumen zurecht und kommen demnach auch weltweit vor. Sie leben in grossen Gruppen, sind aber trotzdem monogam und werden, je nach Art, 20 bis 30 Jahre alt.

Aberglauben stirbt nie aus

Aus reiner Unwissenheit über ihren Nutzen und auf den Druck der da wohl nicht ganz interessensneutralen Jägerlobby dürfen Rabenvögel seit 1994 wieder bejagt werden. Dabei gibt es keinerlei wissenschaftliche Untersuchungen, ob und wie sehr gerade die Krähen der Landwirtschaft schaden. In den Bereich der Märchen kann auch die Behauptung, Rabenvögel würden Kälber und Schafe metzgern, verwiesen werden. Als Allesfresser geiern die Vögel lediglich auf die Nachgeburt und den Kot der frischgeborenen Kälber. Jungvögel landen nur dann im Rabenmagen, wenn sie ohnehin nicht überlebensfähig wären. Dazu tragen die Rabenvögel zur natürlichen Schädlingsbekämpfung bei, indem sie Mäuse, Raupen, Maikäfer und Drahtwürmer fressen. Und schliesslich gibt es auch keine vielbeschrieene Überbevölkerung, da täuschen ziehende Saatkrähen aus Nordeuropa und Massenschlafplätze grössere Zahlen vor, als tatsächlich vorhanden. Abgesehen davon vermehrt sich jede Art umso mehr, je stärker sie bejagt wird. Aber Jäger und auch so mancher Politiker sind wohl halt einfach faktenresistent. 

Famous last words

Tja, hochintelligent, wunderschön, sozial und humorvoll… wenn nur der Aberglauben nicht wäre! Immerhin wissen die Briten um ihren Wert für Krone und Empire: Die Krähen vom Tower sind auf alle Fälle unentbehrlicher als so manches Mitglied der Royal Family... Das letzte Wort überlasse ich gerne dem Raven Master des Tower of London Chris Skaife.