Märchensee im Buchenwald - der Egelsee im Aargau

 

Es heisst, der Egelsee sei nach der letzten Eiszeit nach dem Rückzug der Gletscher entstanden. Was natürlich nicht stimmt. In Wirklichkeit birgt er nämlich ein sehr düsteres Geheimnis.


Wo heute Auto an Auto fährt und seit Kurzem auch die Limmattalbahn ihre Kreise zieht, waren vor nicht allzu langer Zeit (erdgeschichtlich gesehen) Gletscher. Das Ende der Eiszeit vor knapp 10’000 Jahren läutete dann auch das Ende eben jener Gletscher ein - et voilà - ein Teil des Heitersberg sackte ab und eine der so entstandenen Mulden füllte sich mit dem Egelsee. Das ist die trockene wissenschaftliche Erklärung 1.0.

Die echte Entstehungsgeschichte ist allerdings eine andere: Auf einer Burg auf dem Heitersberg lebte einst ein Ritter namens Riko. Ein übler Geselle, der keine Bösartigkeit ausliess und für seine letzte Missetat (er warf ein kleines Kind ins Feuer) vom Himmel bestraft wurde. Burg, Ritter und Gefolge versanken in der sich anschliessenden heftigen Gewitternacht mit grossem Getöse im Boden und darüber deckte sich der See des Schweigens - der Egelsee.

In der Tat umgibt den See durchaus etwas Mystisches und das mit dem heftigen Gewitter erhält auch noch Nahrung durch eine andere Entstehungstheorie - nach dieser soll der Egelsee nach einem Erdbeben entstanden sein, trockene wissenschaftliche Erklärung 2.0.

Wie auch immer der Egelsee nun tatsächlich entstanden ist, heute ist er jedenfalls da und lockt jahrein jahraus viele BesucherInnen an. Der See ist nur zu Fuss oder per Velo erreichbar und war deshalb lange Zeit eher ein Geheimtipp. Doch der Elektrovelo-Boom hat dafür gesorgt, dass auch sportlich weniger Ambitionierte den See frequentieren, und nach Feierabend oder sonntags wird der Weg zum See zur Velorennstrecke.

 

Eine kurze Geschichte des Wassers

Grundsätzlich sind alle Süsswasserseen im Sommer und im Winter aufgrund der unterschiedlichen Temperaturen und der daraus folgenden unterschiedlichen Dichteverhältnisse des Wassers geschichtet. Wasser hat eine sogenannte Dichteanomalie. Um es kurz zu machen: Wasser ist bei einer Temperatur von 4° C am schwersten, alles, was temperaturmässig darüber oder darunter liegt, ist leichter und schwimmt demnach weiter oben.

 

Im Sommer ist die oberste Wasserschicht (Epilimnion) am wärmsten (und somit am leichtesten). Darunter liegt die Sprungschicht (Metalimnion) und ganz unten befindet sich die Tiefenschicht (Hypolimnion), welche in tieferen Gewässern Sommers wie Winters um die 4° C hat. Diese Schichten können sich nicht oder nur bei extremen Witterungsbedingungen untereinander vermischen. Auch im Winter, wo das Eis leichter ist als das Tiefenwasser, sind Süsswasserseen geschichtet. Im Herbst allerdings, wenn das Epilimnion sich abkühlt und alle Schichten eine vergleichbare Temperatur haben, fängt der Wasserkörper an, sich zu durchmischen. Auch im Frühjahr findet eine sogenannte Vollzirkulation statt.

Das Epilimnion ist im Sommer durch die Fotosynthese der pflanzlichen Schwebeorganismen (Phytoplankton) besonders sauerstoffreich. Wobei die Klimaerwärmung auch hier ihr Unwesen treibt: Je wärmer ein Gewässer ist, desto weniger Sauerstoff kann es aufnehmen. Und je länger das Epilimnion mollige Temperaturen aufweist, desto später findet im Herbst die Vollzirkulation mit entsprechendem Sauerstoffeintrag in die tieferen Schichten statt.

Überdüngung der Gewässer, verursacht durch Einträge von Algen-Nährstoffen aus der Landwirtschaft, Gärten und in geringerem Ausmass durch gereinigte Abwässer, führt zu einer übermässigen Vermehrung des Phytoplankton im Epilimnion. Sinkt dieses Phytoplankton aus dem Epilimnion ab, hat das schliesslich einen Sauerstoffmangel in den unteren Schichten zur Folge. Das ist auch der Grund, warum zahlreiche Schweizer Seen im Sommer einer Seebelüftung bedürfen.

 

Sonderfall Egelsee

So weit die Theorie. Beim Egelsee ist das aber anders. Von steilen Waldhängen umgeben und ohne direkten Zufluss (und ohne Nährstoffeinträge aus Landwirtschaft, Gärten, Abwasser), wird der See von Hangwasser und vermutlich auch durch Grundwasser gespeist. Bedingt durch seine besondere Lage ist er ein sogenannter teildurchmischter (meromiktischer) See, denn beim Egelsee zirkuliert im Herbst und im Frühjahr nicht der gesamte Wasserkörper. Die sauerstofffreie Zone (Monimolimnion) ab einer Tiefe von etwa 7 bis 10 Metern wird nicht oder nur kurzfristig durchmischt. Das Monimolimnion muss man sich als lebensfeindliche Hexenküche vorstellen, von der sich alles Leben, das auf Sauerstoff angewiesen ist, besser fernhält.

 Die Gewässerschutzverordnung hätte auch für den Egelsee eine Seebelüftung vorgesehen, doch die zuständigen Behörden konnten davon überzeugt werden, dass das in diesem Fall ein eigenes Ökosystem ist. Denn es gibt tatsächlich Organismen, die gerne in oder an Hexenküchen leben.

Während Untersuchungen des Sees durch die Limnologische Station des Instituts für Pflanzenbiologie der Universität Zürich im Jahr 2003 konnten im Monimolimnion des Egelsee Grüne Schwefelbakterien der Gattung Chlorobium, Proteobakterien wie Chromatium und Purpurbakterien der Gattungen Thiopedia und Amoebobacter nachgewiesen werden.

Grüne Schwefelbakterien und Proteobakterien benötigen für die Fotosynthese kein Wasser, sondern Schwefelwasserstoff.

„Es gibt wenige Ökosysteme in der Schweiz, in denen Grüne Schwefelbakterien gefunden wurden“, so Prof Dr Ferdinand Schanz, der damals die Untersuchungen leitete. Ihm war sehr wichtig, dass der Egelsee so belassen wird, wie er ist. Neuere Daten gibt es nicht, die Limnologische Station konzentriert ihre wissenschaftlichen Arbeiten heutzutage hauptsächlich auf den Zürichsee.

 

Des Aargau grösster See

Steht man vor dem Egelsee, fällt es schwer zu glauben, dass dies der grösste See ist, der vollständig im Kanton Aargau liegt. Er hat eine Fläche von 2 bis 2,5 Hektar (die Angaben schwanken) und ist etwa 10 Meter tief. Früher (sehr viel früher) war der Egelsee deutlich grösser, er verlandet langsam. In der bereits verlandeten Zone befindet sich eine Riedwiese voller botanischer Schätze. Das ganze Gebiet steht seit 1983 unter Schutz. «Aufseher Naturschutzgebiet und Fischerei Egelsee» Rudolf Vogel, seit über einem Vierteljahrhundert für das Gebiet zuständig, geht häufig vorbei, um Besucherinnen und Besucher an die hier geltenden Regeln zu erinnern. Vor allem im Sommer ist das nötig und: „In den Coronajahren war sehr viel mehr los“, so Vogel, auch die Polizei sei häufiger im Einsatz gewesen. Musik und Party, Schlauchboote oder Schwimmhilfen seien am und im See nicht gestattet.

  

Das durstige Baden

Der etwas skurrile Umstand, dass der Boden des Egelsee zwar der Gemeinde Bergdietikon gehört, das Wasser aber dem Regionalwerk Baden, ist dem umtriebigen ehemaligen Stadtamman von Baden, Carl Pfister (1847-1931), zu verdanken. Der setzte schon Ende des 19. Jahrhunderts auf die Trinkwasserversorgung seiner durstigen Stadt mit Quellwasser und veranlasste die Stadt Baden, die Quellrechte oberhalb von Killwangen und Spreitenbach und eben auch den Egelsee zu kaufen. Auch die Fischereirechte liegen bei der Stadt Baden. Der Egelsee ist als Privatrevier eingetragen, Fischpächter ist ein privater Verein.

 

Meditation mit Rute

Im See gibt es laut Andreas Stocker von eben jenem Fischereiverein Egelsee Hechte (Esox), Egli (Perca fluviatilis) und diverse Weissfischarten wie Karpfen, Rotfedern, Rotaugen (alle drei gehören zu den Cyprinidae), Schleien (Tinca spec), Alet (Squalius cephalus) usw. Woher die Fische einst kamen, ist nun nicht mehr zu eruieren, klar ist aber, dass irgendwann irgendjemand Fische und auch Edelkrebse (Astacus astacus) eingesetzt haben muss, denn der Egelsee hat - wie bereits oben erwähnt - keinen oberirdischen Zufluss und der Abfluss ist für viele Fischarten nicht passierbar.

„Wir haben mal früher Hechte eingesetzt, aber es waren schon vorher Hechte drin, von unserer Seite aus war das eine unterstützende Massnahme“, so Stocker. Der Verein setzt heute keine Fische mehr ein. Allgemein ist es in der Schweiz so, dass im Sinne einer nachhaltigen Fischerei die Fische nicht mehr von kreuz nach quer eingesetzt werden dürfen, sondern in ihrem angestammten Lebensraum bleiben sollen.

Auch Edelkrebse sind in dem Gewässer und können mit etwas Glück von einem der Stege aus beobachtet werden, am besten, wenn es ruhiger wird am See und die Dämmerung einsetzt. „Man muss zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein“, erklärt Stocker. Allerdings sollte dabei nicht unerwähnt bleiben, dass mit den Edelkrebsen auch die Mücken aktiv werden, die sich völlig schamlos auf einen stürzen.

Die Zahl der Fischer ist sehr überschaubar und gefischt wird nur für den Eigenbedarf. „Wir fischen begrenzt, die einen fischen zehn Stunden, die anderen dreissig“, sagt Stocker und erwähnt, dass auch nicht jeder Fischtag ein erfolgreicher (für den Fischer) ist. Manchmal sitzt man auch einfach am See und meditiert mit Angel (ohne Fisch).

Einmal im Jahr macht der Fischereiverein seine „Seeputzete“. Dabei suchen die Vereinsmitglieder den Uferbereich nach Müll ab - und werden auch fündig. Die zahlreichen Abfallkübel am Ufer sind offenbar nicht für alle erreichbar.

 

 Wer oder was in den Untiefen des Egelsee herum schwimmt (Ritter, Burgreste, Überbleibsel eines Gefolges) ist nicht vollständig geklärt und vielleicht sollte man diesem Märchensee auch seine letzten Geheimnisse lassen.