Bützberg, der Berg mit den vielen Gesichtern


Ob der Bützberg sich seines Daseins im Schatten des deutlich bekannteren wie markanteren Geissbergs bewusst ist, darüber kann nur spekuliert werden. Während sich Wanderer, Nordic Walker, Hündeler und Biker auf Letzterem drängen, ist es auf dem Bützberg eher ruhig und beschaulich. Dabei hat auch er Besonderes zu bieten. 


Unten, am Fusse des nordöstlichen Schenkels des Bützberg, stehen die falschen Bäume. Denn dort, wo eigentlich die Buchen zu dem Orchideen-Buchenwald (Cephalanthero-Fagion) kartiert sind, wachsen Föhren. Die Frage, warum die Föhren, und nur diese, denn dastehen, und das augenscheinlich nicht erst seit gestern, führt direkt zu einem Naturschutzprojekt des Kanton Aargau. Für das hat der zuständige Förster Oliver Frey vor einigen Jahren beim Kanton erfolgreich geweibelt: Vor sechs Jahren wucherten zwischen den Föhren noch zahlreiche Buchen, ca 50-60 Jahre alt, allerdings sehr kleinwüchsig und buschig wie Frey betont. Da die Humusschicht an dieser Stelle sehr dünn ist, vermutlich war sie einmal abgeräumt und an anderer Stelle für den Rebbau eingesetzt worden, ist der Boden sehr trocken und für Buchen nicht wirklich ideal. Frey war aber vor allem an den Orchideen gelegen, die darunter wachsen sollten und so wurden die Buchen entfernt. Nun ist dieser Teil ein Spezialreservat für wärme- und lichtbedürftige Arten aller Art, in dem der Kanton Aargau zwischen den Föhren das Gras jährlich mähen und abräumen lässt. 


Wirtschaft für die Artenvielfalt

Von dem Spezial-Föhrenwald aus führt eine breite Forststrasse den Berg hinauf. Folgt man nun dieser Strasse, passiert man eine grössere geräumte Fläche. Femelschlag nennt sich das, und das ist kein Euphemismus für eine fehlgeleitete Waldwirtschaft. Ruedi Bättig, Mitarbeiter der Abteilung Wald des Departements für Bau, Verkehr und Umwelt vom Kanton Aargau erklärt: „Vorteil von geräumten Flächen ist, dass hier auch Baumarten, welche viel Licht benötigen wie Eiche, Kirsche oder Elsbeere aufwachsen können, was die Artenvielfalt erhöht.“ 

Kirsche (Prunus spec.) und die ohnehin seltene Elsbeere (Sorbus torminalis) würden in einem Orchideen-Buchenwald auch natürlicherweise vorkommen, sagt Bättig, seien aber in einem älteren Buchenwald nicht mehr vorhanden: Neben der konkurrenzstarken Buche könnten nur wenige Bäume, wie Stechpalme (Ilex) oder Eibe (Taxus) im Gerangel um Licht und Nährstoffe mithalten. Ältere Buchenwälder seien demnach nicht mehr sehr artenreich. „Nachteil einer Räumungsfläche ist, dass die frisch gepflanzten und sich auch selbst verjüngenden Flächen sehr pflegeintensiv sind“, sagt Bättig. Würden nur einzelne Bäume gefällt, sei die Bewirtschaftung einfacher, auch böte eine Dauerbewaldung anderen Bodenlebewesen, beispielsweise Pilzen, Schutz vor praller Sonne. „Die Artenvielfalt bleibt so aber auf der Strecke“, so Bättig.


Besuch in der Provence

Ein Stückchen weiter oben an der Forststrasse ist der Orchideen-Buchenwald plötzlich verschwunden, und man steht in einem provenzialisch anmutenden Kronwicken-Eichenwald (Coronillo coronatae-quercetum). Der in der Schweiz sehr selten, sehr licht und hat viel Unterwuchs wie Strauchwicke (Hippocrepis emerus), Liguster und Weissdorn (Crataegus monogyna). Die Eichen sind an dieser Stelle genauso knorrig und kleinwüchsig wie irgendwo im sonnigen Süden Frankreichs - und ziemlich alt. So mickerig sie aussehen, so ehrwürdig sind sie doch. Anhand von Kernbohrungen hat man herausgefunden, dass die Bäume etwa 130 Jahre alt sind.


Mittel- und Südeuropa

Der Bützberg hat, trotz seiner bescheidenen Grösse, viele verschiedene Standorte für unterschiedliche Waldgesellschaften, welche der Kanton genau kartiert hat. Ein Grossteil des Bützberg ist von Buchenwäldern in ihren zahlreichen Variationen bewachsen: Die Nordhänge des Bützberg sind demnach ideal für Kalk-Buchenwälder (Carici-Fagetum). Die trockenen und warmen Südhänge hingegen bieten beste Bedingungen für Orchideen-Buchenwälder. Die wenigen, feuchteren Stellen wiederum sind gute Standorte für Waldmeister-Buchenwälder (Galio odorati-Fagetum). Aber es gibt auch noch Spezialistenstandorte: Die trockenen Grate sind perfekt für Eichen-Föhrenwälder. 

Die oben genannten Waldgesellschaften sind eine grobe Einteilung, vor Ort kommen sie dann in zahlreichen verschiedenen Formen mit jeweils anderem Unterwuchs vor. Und Oliver Frey hat ohnehin andere Pläne mit dem Bützberg. 


Vom Orchideen-Buchenwald zum Orchideen-Föhrenwald

Bestände mit natürlich hohem Föhrenanteil, sowie seltenen Baumarten wie Elsbeere, Mehlbeere, Feldahorn oder Eibe, wurden in den letzten zehn Jahren unter Freys Ägide gezielt in lichte Wälder umgewandelt. Erfahrungsgemäss treffe man in solchen Flächen nach kurzer Zeit verschiedene seltene Orchideen wie Ragwurzen, Knabenkräuter, Waldhyazinthe und andere an, wie er erklärt. Sein (Fern)Ziel ist ein ausgedehnter Orchideen-Föhrenwald (Cephalanthero-Pinetum silvestris). Beim Bützberg stehen Naturschutz, Biodiversität und die Förderung seltener Arten vor jedem wirtschaftlichen Interesse. Zumindest da, wo Frey seinen Einfluss geltend machen kann. 


Vorgarten des Schreckens

Oben auf der Ebene stehen noch vereinzelt Fichtenforste, Überbleibsel aus einer Waldwirtschaft, wie sie heute nicht mehr betrieben wird. Diese Fichtenforste sind ökologisch in etwa so wertvoll wie ein gekiester Vorgarten mit Buchsbaum. Kein Unterwuchs, keine Bienenweide, der Boden versauert durch die Nadeln, ist aber ohnehin derart finster, dass sich nicht einmal eine säureliebende Pflanze dorthin verirrt. Aber vielleicht Buchdrucker und Kupferstecher, die nichts mit Büchern, aber viel mit Schäden an Fichtenforsten zu tun haben.  


Und die Orchidee ist auch da

Auf dem südwestlichen Schenkel des Bützberg gibt es keine breit ausgebaute Forststrasse mehr, über den Grat führt nur noch ein schmaler Pfad. Und genau dort, im lichten Unterholz, leicht zu übersehen, finden sich auch Orchideen. Orchis mascula, männliches Knabenkraut heisst die Art, die an diesen Standorten ziemlich häufig ist. Generell wachsen in den Orchideen-Buchenwäldern auch noch andere Arten, wie, Nestwurz (Neottia nidusavis) oder mit viel Glück der gelbe Frauenschuh (Cypripedium calceolis) oder verschiedene Epipactis Arten. Die muss man allerdings erst einmal finden. 


Faltenjura und Mikroklima

Mitteleuropa und Provence liegen auch hier auf dem Südzipfel des Bützberg nur sehr wenige Meter auseinander: Auf dem Grat sind kleine Eichen, fünf Meter daneben in einer Senke, ist schönster Buchenwald. Das ist nicht einem Förster auf Irrwegen geschuldet, sondern den Besonderheiten des Jura und der Ost-West-Lage mit Südzipfel des 647 m hohen Bützberg mit seinen Steilhängen. Um die geobotanischen Verhältnisse des Bützberg zu verstehen, lohnt sich ein kleiner Exkurs in die Geologie des Berges. Dieser gehört nämlich zu der ersten Reihe des Kettenjura, auch als Faltenjura bekannt. Innerhalb des Kettenjura finden sich immer wieder Berge mit derart unterschiedlichem Mikroklima. Das Kalkgestein, die steilen Hänge und die dünnen Humusschichten, vor allem an den Südhängen, fordern und fördern an vielen Stellen die Standortspezialisten. Auch hat der Jura nur ein wenig dichtes Gewässernetz, ist also von Haus aus schon eher trocken. Dazu kommt, dass oberirdisches Wasser an vielen Stellen im Kalkgestein verschwindet und dann für Buche & Co nicht mehr zur Verfügung steht. An anderen Stellen sickert das Wasser aus dem Kalkgestein hinaus und sorgt dort für feuchte Bedingungen. 

Das Gebiet um den Bützberg besteht aus Malmkalk, auch Weisser Jura genannt, der jüngsten Schicht der Sedimentablagerungen, entstanden vor ca 160 bis 145 Mio Jahren – der Blütezeit der Dinosaurier. 

Wer weiss also, was sonst noch alles unter Buchen, Eichen, Seggen und Orchideen zu entdecken wäre.


Weitere Informationen auf: https://www.ag.ch/app/agisviewer4/v1/agisviewer.html und in dem Buch „Die Waldstandorte des Kantons Aargau“ zu finden.