Der Borkenkäfer – eine Imagekorrektur
Ein Satan in Käfergestalt, so ist das allgemeine Bild des Borkenkäfers. Doch das wird den Tieren keinesfalls gerecht. Borkenkäfer sind wichtig für den Wald - es ist Zeit für eine Imagekorrektur.
„Der Borkenkäfer ist nur Indikator für den Stresszustand des Waldes“, so Beat Wermelinger, Waldentomologe a. D. von der WSL. Will heissen: Wären alle Bäume gesund und munter und dazu noch unsterblich und gäbe es keine Stürme und keine Dürre, wären die Borkenkäfer arbeitslos. Denn: „Der Borkenkäfer ist Pionier des Recyclings im Wald“, erklärt Wermelinger.
Wobei dabei gesagt werden muss, dass es DEN Borkenkäfer gar nicht gibt. Denn die Borkenkäfer sind eine artenreiche Familie, weltweit sind einige Tausend, in Europa ein paar Hundert Arten beschrieben.
Grundsätzlich unterscheidet man bei den Borkenkäfern Rinden- und Holzbrüter. Rindenbrüter ist z. B. eben jener berühmt-berüchtigte Buchdrucker (Ips typographus) und der nicht minder schlecht beleumundete Kupferstecher (Pityogenes chalcographus). Sie bohren sich in die Rinde von geschwächten oder frisch sturmgefällten Bäumen ein und legen dort ihre Eier ab. Als Nahrung dient dem Nachwuchs der Bast des Baumes, wo eigentlich Zuckerstoffe transportiert werden sollten. Die Frassgänge der Larven aber unterbrechen diesen Transport.
Die Holzbrüter hingegen bohren sich in das Splintholz bereits gefällter Bäume hinein. Angehörige der Holzbrüter wie beispielsweise der Gestreifte Nutzholzborkenkäfer (Trypodendron lineatum) züchten in den von ihnen gebohrten Gängen Ambrosiapilze, von denen sich dann ihre Larven ernähren. Bohrgänge und Pilze schaden dem Holz, und das umso mehr, wenn das Splintholz noch frisch ist.
Getreu dem Motto „Auf die Pest folgt die Cholera“ verhält es sich bei den Arten der Ulmensplintkäfer (Scolytus-Arten), die zu den Rindenbrütern gehören. Sie setzen beim Reifungsfrass an der Ulme den Schlauchpilz Ophiostoma novo-ulmi im betroffenen Baum frei. Der Pilz wächst nun ins Holz und verstopft mit seinem Myzel die Leitbahnen der Bäume. Fast überflüssig zu erwähnen, dass Ulmen immer seltener in Europa werden.
Da es der Buchdrucker ist, der eine allseits unübersehbare Spur der Verwüstung hinter sich lässt, wird nachfolgend nur noch von ihm die Rede sein.
Angriff und Verteidigung
Wird nun ein Baum Opfer eines Borkenkäferangriffs, versucht er mit Harzfluss die Eindringlinge abzuwehren. Mit ein paar wenigen Käfern würde ein gesunder Baum also fertig. „Es braucht eine grosse Menge Borkenkäfer, um einen vitalen Baum zu überwinden“, sagt Wermelinger.
Ein bereits geschwächter Baum produziert weniger Harz - und kann sich somit schlechter wehren. Ein Befall mit Borkenkäfern folgt einer - je nach Perspektive - Verkettung glücklicher bzw. unglücklicher Vorkommnisse: Sturmschäden oder Trockenperioden schwächen die Bäume, insbesondere Fichten, Borkenkäfer finden so ein für sie günstiges Habitat, es folgen Paarung, Eiablage, Entwicklung und weil es immer wärmer wird, gibt es pro Vegetationsperiode nicht mehr nur zwei Generationen Borkenkäfer, sondern eventuell drei.
Anfällige Monokulturen
Die Fichte macht in der Schweiz über ein Drittel aller Waldbäume aus. Sie war ursprünglich der Baum der Bergregionen. Erst seit etwa 200 Jahren wird sie auch im Flachland angepflanzt. Sie wurde und wird aufgrund ihrer Holzeigenschaften und auch wegen des vergleichsweisen schnellen Wachstums intensiv genutzt. Der Bedarf war (und ist) hoch und so pflanzte man seinerzeit zahlreiche Fichten-Monokulturen. Wie nun allerorten bekannt ist, sind Monokulturen keine gute Idee, sind sie doch so etwas wie ein Rund-um-die-Uhr all you can eat Buffet für potenzielle Schädlinge. Auch sind alle dort lebenden Individuen plus minus gleich anfällig auf für sie schädliche Ereignisse - im Falle des Flachwurzlers Fichte sind es Trockenheit, Stürme und Hitze. Wermelinger meint, die Fichte könne sich in den höheren Lagen durchaus halten, dort gäbe es ja auch immer wieder lokale Gewitter, doch im Flachland sei sie eher ein Auslaufmodell.
Ein Borkenkäferleben
Bohrt sich nun ein männlicher Borkenkäfer unter die Baumrinde, gräbt er eine Höhle (die sogenannte Rammelkammer). In diese lockt er mit seinen Pheromonen ein paar Borkenkäferweibchen und dann machen sie dort, was Männchen und Weibchen halt so machen, wenn sie sich vermehren wollen. Beide fressen dann einen Tunnel in den Bast und graben entlang dieses Tunnels Nischen für ihren Nachwuchs. Jedes Weibchen legt etwa 50 Eier. Gleichzeitig rufen die Käfer die gesamte Verwandtschaft zu sich, die dann ebenfalls zur Tat schreitet. Nach ein bis zwei Wochen schlüpfen dann die Larven aus den Eiern und fressen sich anschliessend durch den Bast - das Ende des irdischen Daseins des Baumes. Nach ein paar Wochen verpuppen sich die Larven und zwei bis vier Wochen später fliegt eine neue Generation Borkenkäfer los.
Den eigenen Lebensraum zu zerstören, lässt auf eine gewisse kognitive Minderbegabung schliessen, denn sind erst einmal alle Fichten in der Umgebung tot, verschwindet lokal auch der Borkenkäfer: „Dann hat er Pech gehabt“, konstatiert Wermelinger. Immerhin: Tote Fichten haben einen konkreten Nutzen für zahlreiche andere Spezies.
Massnahmen
An manchen Orten lässt man den Borkenkäfer einfach machen, in den Wirtschaftswäldern wird allerdings versucht, ihm Einhalt zu gebieten. Schon vor Jahrzehnten installierten Förster Pheromonfallen in den Wäldern, um paarungswillige Tiere einzufangen. „Zur Bekämpfung der Borkenkäfer haben sich die Pheromonfallen aber nicht bewährt, sie sind eher ein Instrument zum Monitoring“, so Wermelinger.
Frisch befallene Bäume können auch mithilfe von Artenspürhunden, Drohnen- oder Satellitenaufnahmen identifiziert werden. Werden sie sofort gefällt und aus dem Wald entfernt, kann das eine weitere Ausbreitung reduzieren. Oft bleiben die Fichtenstämme aber im Wald liegen. „Solange sich die ganze Brut noch im Bau befindet, ist das kein Problem“, erklärt Wermelinger, „nach dem Fällen bleiben noch etwa zwei bis drei Wochen Zeit, bevor die fertigen Borkenkäfer ausfliegen.“ Er gibt auch zu bedenken, dass sich der Aufwand eines Transportes nicht immer lohnen würde, beispielsweise wenn ohnehin nur wenige Fichten in der Gegend wären. Ein neuer Befall findet nämlich nur wenige Hundert Meter von einem Käfernest entfernt statt.
Bei liegengebliebenen Fichten hilft es, die Rinde zu entfernen, denn ohne Rinde vertrocknet die Borkenkäferbrut. Aber: „An gewissen Orten kommt man gar nicht mehr nach“, sagt Wermelinger. Wolle man die Restbestände schützen, müsse man rechtzeitig handeln, aber auch das sei oft allein aus Kapazitätsgründen nicht möglich.
Zum Thema biologische Bekämpfung gab es immer wieder Versuche, aber der Aufwand sei riesig und letztendlich „macht man immer noch das Gleiche wie vor hundert Jahren“, sagt Wermelinger, nämlich fällen und entfernen. Die beste Massnahme gegen Borkenkäfer sei ein standortgerechter und altersdurchmischter Baumbestand mit einem schützenden Waldrand. Dazu gehören dann auch verschiedene Borken- und andere Käfer, Spinnen, Würmer, Vögel, Gräser, Bäume, Pilze etc etc.
Nahrungsgrundlage Borkenkäfer
Es gibt zahlreiche Lebewesen, die sich für Borkenkäfer interessieren, er ist eher unten in der Nahrungskette angesiedelt - insgesamt sind es über 300 Arten an Frassfeinden. Käfer wie der Ameisenbuntkäfer (Thanasimus formicarius), Fliegen wie z. B. Arten der Langbeinfliegen (Dolichopodidae), Wanzen, Milben, Schlupfwespen (Ichneumonidae), Brackwespen (Braconidae), Vögel, Käferlarven, Pilze, Viren, Einzeller, Nematoden… „Da spielen sich echte Dramen unter der Rinde ab, wenn wir das alles hören könnten“, meint Wermelinger. Wenig erstaunlich also, dass Borkenkäfer sich so stark vermehren (müssen).
Es heisst ja, wo Licht sei, sei auch Schatten. Im Umkehrschluss gilt dann wohl auch: „Wo Schatten ist, ist auch Licht.“ Der Borkenkäfer gehört zur Waldentwicklung dazu. Und so trist der Anblick der dürren und toten Fichten in den Wäldern auch ist - vielleicht hilft es ja, den Wald als einen dynamischen Gesamtorganismus mit der Fähigkeit zur Selbstheilung zu betrachten. Nun ist ein Baum kein Löwenzahn - es wird eine Weile brauchen, bis sich der Wald an die neuen klimatischen Bedingungen angepasst haben wird.
Ein Leben zu Ende bevor richtig begonnen: Ameise mit Borkenkäferlarve